Aus heiterem Himmel: Die Notoperation

Im Januar 2015 stand wieder einmal eine Routine-Koloskopie an. Alle zwei Jahre, das hatte ich meinem Internisten versprochen, und ich hielt mich auch daran, zumal Darmspiegelungen für mich mittlerweile wirklich Routine waren. Meine Mutter fuhr mich morgens in die Praxis und sollte mich auch wieder abholen, sobald ich fertig und wach genug war.

Wie immer legte ich mich auf die Pritsche und fröhnte meiner (zugegebenermaßen leicht schrägen) Vorfreude auf das Propofol. Ich finde es einfach immer wieder beeindruckend, wie so ein bisschen Medikament einem von jetzt auf gleich das Licht ausknipst. Und wie immer bat ich meinen Doc darum, das Propofol langsam zu spritzen, weil ich doch jedes Mal versuche, den Moment bewusst zu erleben, wenn ich davon einschlafe. Was natürlich Blödsinn ist, aber immerhin bekam ich diesmal doch mit, wie das Gesichtsfeld kleiner wird und ich die Kontrolle über meinen Körper verliere. Zack, und weg.

Und als ich meine Augen wieder öffne, stimmt da etwas ganz gewaltig nicht. Ich bin in einem fremden Zimmer, ich bin wahnsinnig müde, Uwe (mein Mann; naja, damals noch nicht) ist da. Ich fange an zu weinen, ohne zu wissen, warum.

Perforation des terminalen Ileums, Konglomerattumor, Kompartmentsyndrom, Pneumothorax

Was war passiert? Ich kann es natürlich nur so erzählen, wie es mir berichtet wurde, denn ich habe ja nichts davon mitbekommen.

Mein Internist war gerade dabei, die Darmspiegelung zu beenden. Während er das Untersuchungsgerät langsam wieder aus meinem Darm herauszog, riss die Stelle, an der die Entzündung durch den Morbus Crohn sich manifestiert hatte, "wie feuchtes Papier", so sagte er später. Die in meinen Darm eingeleiteten Gase, die ihn für die Untersuchung notwendigerweise aufgedehnt hatten, entwichen nun mit einem leisen Knall durch die perforierte Darmwand in das Innere meines Körpers. Das Praxisteam rief sofort den Notruf, und ich wurde innerhalb von Minuten ins Krankenhaus gebracht. (Meine erste und bisher einzige Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn, und ich hab sie verpennt!)

Mein Blutdruck war im Keller; ich wurde intubiert, aber es gab Probleme bei der Beatmung. Man röntgte meinen Brustkorb und fand einen Spannungspneumothorax (kollabierter Lungenflügel) auf der rechten Seite, so dass ich notfallmäßig eine Thoraxdrainage bekam. Außerdem stellte man ein abdominelles Kompartmentsyndrom fest, das punktiert wurde. Anschließend erfolgte eine Laparoskopie, bei der man einen ausgeprägten entzündlichen Konglomerattumor entdeckte und daraufhin meinen Bauch aufschneiden musste. Er wurde herausoperiert und mein Darm repariert.

Ich hatte einen septischen und hämodynamischen Schock und blieb drei Tage im künstlichen Koma, bis man mich mit einer winzigen Menge eines Aufwach-Medikaments aus dem Nichts zurück holte.

Anus Praeter: der künstliche Darmausgang

Ich kehrte nun also ganz langsam in die Welt der Lebenden zurück. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war; das sickerte erst nach und nach und über Tage bei mir ein. Wegen der starken Medikamente war ich sehr benommen und zunächst immer nur kurze Zeit wach. Viele Dinge, die mir die Ärzte sagten, vergaß ich sofort wieder.

Ich hatte tagelang wahnsinnige Halluzinationen. Sobald ich die Augen schloss, liefen Szenen vor meinen Augen ab. Ich sah Tiere, Menschen, Formen, Schädel, Farben - ich hatte keine Möglichkeit, das zu stoppen. Ich halluzinierte sogar eine Nachtschwester, die in mein Zimmer auf der Intensivstation kam, in ein Loch in der Wand pustete und sich daraufhin eine Licht- und Musikshow an dieser Wand abspielte. Das Ganze war so real (und ich noch so neben mir), dass ich eine echte Schwester danach fragte. Als ich daraufhin etwas später die Pfleger auf den Fluren kichern hörte, wurde mir langsam klar, dass ich mir dieses verrückte Schauspiel nur eingebildet hatte.

Ich wusste nun immerhin, dass ich auf der Intensivstation war, dass es schwere Komplikationen bei der Koloskopie gegeben hatte - und dass ich schnellstmöglich nach Hause wollte. Der erste Schritt dazu ist, das weiß ich ja aus hinlänglicher Krankenhauserfahrung: raus aus dem Bett und laufen lernen.

Das geht natürlich nicht ohne Unterstützung, und so half mir eine Krankenschwester, mich zum ersten Mal an die Bettkante zu setzen und mich von dort aus vorsichtig in den bereitstehenden Rollstuhl zu hangeln. Zum ersten Mal nahm ich meinen Bauch und die Schläuche, die an mir baumelten wahr. Was war das auf der rechten Seite? Das wird doch nicht ...? Meine Welt brach zusammen, als die Schwester mir bestätigte, dass ich einen künstlichen Darmausgang hatte. Sie war ehrlich erschrocken, war sie doch überzeugt gewesen, dass ich das bereits wusste. Nun, man hatte es mir wohl gesagt - aber diese Information ist, wie viele andere, im Nebel der starken Schmerzmittel verschwunden. Nun musste die Arme auch noch meine Heulerei ertragen.

Das Begreifen kam viel später

Nun hatte ich also einen Seitenausgang. Das furchtbare Thema, um das ich in der Vergangenheit immer einen Bogen gemacht hatte, in der Hoffnung, dass es mich nicht treffen würde. Mir wurde plötzlich klar, dass ich das Uwe würde beibringen müssen. Wie würde er reagieren? "Ich muss dir was ganz Schreckliches sagen", begann ich, als er an meinem Bett saß. Seine Reaktion auf meine große Offenbarung? "Aber das weiß ich doch schon längst."

Das hätte ich mir natürlich denken können, aber es war alles nun mal sehr viel, und mit so vielen Medikamenten denkt es sich weder schnell noch logisch. Erst, als ich die ganze Geschichte ungefähr zehn Mal gehört hatte, begriff ich die Abläufe und die logischen Zusammenhänge. Ich hatte drei Tage im Koma gelegen. Die Ärzte hatten Uwe beiseite genommen und ihm gesagt, dass es nicht gut um mich stünde. Er hält mich für zäh und war überzeugt, dass ich es schaffen würde. Die Ärzte waren es erst, als ich wieder wach war. Uwe wusste natürlich über alles Bescheid, im Gegensatz zu mir.

Ich brauchte eine Weile, um wirklich zu verstehen, dass ein künstlicher Darmausgang kein Drama ist, wenn man fast gestorben wäre. Mit dieser Erkenntnis hätte ich mich mit meinem Beutel vermutlich dauerhaft gut arrangieren können, aber es gab eine großartige Nachricht für mich: Das Stoma war nicht für immer angelegt, sondern sollte in frühestens acht Wochen, wenn ich ausreichend genesen war, in einer weiteren Operation zurückverlegt werden.

Vom Koma nach Hause in acht Tagen

Montags war ich ins Krankenhaus eingeliefert worden. Am Mittwoch war ich zum ersten Mal ein wenig wach, am Donnerstag mit bewusster Erinnerung. Am Samstag verlegte man mich von der Intensiv- auf die normale Station - aus Bettenmangel. Unter den Intensivpatienten sei ich die fitteste, auch wenn man mich lieber noch ein wenig dort behalten würde. Nun, so etwas motiviert mich ungemein. Ich quälte eine arme Schwesternschülerin, indem ich darauf bestand, vor der Verlegung unbedingt die Haare gewaschen zu bekommen, und so musste sie mir über dem Waschbecken in meinem Intensivzimmer mit einem Messbecher immer wieder warmes Wasser über den Kopf schütten.

Mit einem halbwegs sauberen Gefühl ließ ich mich auf die normale Station schieben, und dort begann ich meine kleinen Wanderungen - erst aus dem Zimmer, dann über den Flur, dann über die ganze Station, bis ich schließlich auch ein paar Treppenstufen schaffte. Mit diesen Wahnsinnserfolgen nervte ich meine Ärzte so lange, bis sie mich am Dienstag - acht Tage nach der Einlieferung - nach Hause entließen.

Diese ganze Geschichte war eine unheimlich beeindruckende Erfahrung für mich, die vermutlich für immer nachwirken wird. Man könnte meinen, dass es eine schreckliche Zeit war - aber ganz im Gegenteil. Es ist eine kostbare Erinnerung.

Das Pflegepersonal war supernett. Aber ganz besonders hervorheben möchte ich meine Ärzte. Es waren viele beteiligt; einige waren bei der Notoperation dabei gewesen, andere bei der späteren Betreuung auf der Station. Ich habe ganz deutlich gespürt, dass ich nicht nur irgend eine Patientin für sie war. Ich wurde sogar von Ärzten auf der Station besucht, die einfach nur wissen wollten, wie es mir geht.

Jeder von ihnen hat sich hoffentlich auf die Schulter geklopft, seinen Teil dazu beigetragen zu haben, dass ich heute hier sitzen und meine Geschichte erzählen kann. Ich bin unendlich dankbar für alles.

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